Das Chamäleon Berlin 2022

Mehr Zirkus, mehr Kultur – die neue Gesellschaftsstruktur

Mit dem Jahr 2022 hat ein neues Kapitel in der Geschichte des Chamäleon Berlin begonnen. Aus dem privaten Theater ist eine gemeinnützige Gesellschaft geworden. Damit ist das Haus nun offiziell dort angekommen, wohin es seit 17 Jahren mit wachsendem Tempo unterwegs war – von der Varieté-Bühne zu einem Kreativ- und Produktionszentrum für den zeitgenössischen Zirkus. Hier findet nicht nur die Aufführung, sondern der gesamte Kreislauf des künstlerischen Schaffens statt: angefangen mit den ersten Ideen-Workshops bis hin zur Berlin-Premiere oder der Welt-Tournee. Jeder Schritt der Kreation wird begleitet, unterstützt und vergütet.

Den gesellschaftlichen Diskurs befeuern 

„Die neue Gesellschaftsstruktur schreibt fest, was wir im Herzen längst sind“, sagt Chamäleon-Geschäftsführer Hendrik Frobel. „Wir verstehen uns als geschützten Raum für die freie Szene und leben Theater als sozialen Ort, wo Entlohnung nicht erst mit der Aufführung beginnt.“ Als gemeinnützige GmbH sollen auch Förderungsmöglichkeiten eröffnet werden, die dem zeitgenössischen Zirkus bislang verschlossen waren. „Der Zeitgenössische Zirkus befeuert den gesellschaftlichen Diskurs, er gestaltet die kulturelle Landschaft mit“, sagt Frobel. „Deswegen möchten wir dafür kämpfen, dass ihm Fördermittel zugänglich gemacht werden, die für andere Kunstformen selbstverständlich sind.“

Residenzprogramme stärken

Noch stärker will sich das Chamäleon Berlin in der beruflichen Aus-, Weiter- und Fortbildung von Kulturschaffenden engagieren, etwa mit künstlerischen Residenzen, Mentoring, Vorträgen und Veranstaltungen. Besonders das Residenzprogramm, in dessen Rahmen Künstler:innen im Chamäleon ihre Stücke entwickeln können, soll zukunftsstiftend wirken: Nachdem so zuletzt das Berliner Artistinnenkollektiv still hungry mit dem Stück „Raven“ eine Zirkus-gewordene Debatte über Mutterschaft für die Bühne geformt hat, wird ab Februar die mexikanische Künstlerin Gabriela Muñoz den Probenkeller übernehmen, um mit der Unterstützung des  Chamäleon-Teams ihr Stück „Julieta“ zum Thema Altersdiskriminierung zu produzieren – bis zur Premiere bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen.

Barrieren einreißen

Das Chamäleon will vor allem jenen Ideen und Stimmen einen Raum geben, die dem Mainstream etwas entgegenzusetzen haben. Denn der zeitgenössische Zirkus ist die ideale Ausdrucks- und Plattform für relevante künstlerische, politische und gesellschaftliche Botschaften und Debatten. Das Haus verfolgt das Ziel, mehr Zugangsmöglichkeiten, Ressourcen und Bühnenrepräsentation für feministische, queere, inklusive und postkoloniale Positionen zu schaffen. Projekte wie „Julieta“ oder zuvor „Raven“ markieren wichtige Schritte auf diesem Weg, auf den auch das Publikum mitgenommen werden soll: mit mehr moderierten Publikumsgesprächen, Panel-Diskussionen, Begleitungen in Gebärdensprache oder Vorstellungen auf Englisch. „Wir möchten unterschiedliche Menschen in all ihrer Vielfalt erreichen“, sagt Intendantin Anke Politz. „Uns geht es um Teilhabe und Inklusion, nicht um vordefinierte Zielgruppen.“

Internationale Netzwerke schmieden

Eine Produktions- und Spielstätte, die der freien Szene garantierte Spielzeiten über Monate und sichere Honorare ermöglicht, gibt es so kein zweites Mal auf der Welt. Das Chamäleon wird weiter Weltklassekompanien nach Berlin holen, wie Circa im vergangenen Jahr oder Cirque Le Roux und Gravity and Other Myths in diesem. Zudem wird das Chamäleon seine Netzwerke ausbauen: als Teil des Bundesverbands für zeitgenössischen Zirkus (BUZZ), als Mitglied im Deutschen Bühnenverein und im europäischen Netzwerk Circostrada, im Bundesverband Freie Darstellende Künste, im Fonds Darstellende Künste, in der Allianz der Freien Szene und im internationalen Produzent:innen-Netzwerk MICC. Zudem ist das Chamäleon Mentor an der Artistenschule Berlin und bringt seit Herbst den zeitgenössischen Zirkus an die Uni: Mit Dr. Franziska Trapp beteiligt sich das Haus an der Gestaltung des Blockseminars „Zeitgenössischer Zirkus“ an der Freien Universität Berlin. „Wir geben keine Ruhe“, sagt Frobel, „bis alle verstanden haben, wie wichtig, kraftvoll und inklusiv dieses Genre ist.“

Das Chamäleon Berlin 2022
Mehr Kunst, mehr Akrobatik – Programm und Projekte

Nachdem die Pandemie zum neuen Jahr noch einmal für eine Pause gesorgt hat und die Gastspielreihe PLAY in das kommende Jahr verlegt werden musste, geht es ab Ende Februar mit voller Energie weiter – mit einer Kinohommage aus Frankreich, einem Solo-Stück aus Mexiko und einer Ensemblearbeit aus Australien. „Dass wir in einem Jahr Produktionen aus drei Kontinenten verwirklichen, macht deutlich, dass der zeitgenössische Zirkus zu einem globalen Phänomen geworden ist“, sagt Anke Politz. „Gleichzeitig zeigt es, welchen internationalen Stellenwert das Haus selbst mittlerweile hat.“ Ungeduldige finden bis dahin Zuflucht auf der Chamäleon-Website. Die wurde vor kurzem neu gestaltet und reflektiert neben dem neuen Erscheinungsbild des Hauses auch die Aktivitäten jenseits dessen, was auf der Bühne zu sehen ist. Blicke auf und hinter die Bühne bieten auf der Website die vier Folgen des Formats „Zirkusbegegnungen“, das Neueinsteiger:innen wie Fans durch die Welt des zeitgenössischen Zirkus führt.

Programm 22.02. – 29.05.2022: Cirque Le Roux – “The Elephant in the Room”

Mit Cirque Le Roux tritt zum ersten Mal eine französische Kompanie im Chamäleon auf und mischt dort den Glanz alter Filme mit absurdem Slapstick und erstklassiger Akrobatik. „The Elephant in the Room“ nimmt das Publikum mit in eine wilde Liebesintrige im Jahr 1937 und zeigt dabei modernes außergewöhnliches Storytelling, wie für den zeitgenössischen Zirkus erfunden.

Residenz ab Ende Februar: Gabriela Muñoz – „Julieta“

In Koproduktion mit dem Chamäleon und den Ruhrfestspielen Recklinghausen wird die mexikanische Künstlerin und Clownin Gabriela Muñoz ihr neues Stück im Probenraum des Chamäleons zur Vollendung zu bringen: ein visionäres, nonverbales Solo, das sich mit der Spaltung zwischen Jugend und Alter beschäftigt – eine Frau erkundet, wie sich unser Selbstbild je nach Lebensabschnitt verändert, mutiert und verformt.

Programm 16.08.2022 – Anfang Januar 2023: A Company in Residence: Gravity and Other Myths – “Mirror, Mirror” & „Out of Chaos“

Die australische Kompanie Gravity and Other Myths kommt wieder nach Berlin, um mit dem Chamäleon das neue Stück „Mirror, Mirror“ fertigzuproduzieren, auch hier stellt das Chamäleon nicht nur die Bühne, sondern tritt auch als Koproduzent auf. Die Arbeit reflektiert die Wurzeln der Kunstform im Cabaret, um aus heutiger, zeitgenössischer Sicht den kritischen Blick auf sexualisierte Körperdarstellungen und inszenierte Genderbilder zu werfen. Die Kompanie ist für ihre spektakulären menschlichen Turmbauten, ihren Humor und ihre persönliche, ehrliche Herangehensweise bekannt. Das Berliner Publikum liebt die Kompanie spätestens, seit sie 2019 mit dem gefeierten Programm „Out of Chaos“ im Chamäleon aufgetreten ist, das auch den zweiten Programmteil dieser „Company in Residence“-Spielzeit bilden wird.

Galavorstellung Dezember 2022: Circus Sonnenstich

Zum neunten Mal findet im Chamäleon die jährliche Charity Gala des inklusiven Circus Sonnenstich zu Gunsten des Zentrums für bewegte Kunst (ZBK) statt.

Das Chamäleon Berlin 2022
Mehr Vorstellungen, mehr Debatte – der Ausblick


So will das Chamäleon Berlin in Zukunft sein Programm gestalten:
• Jährlich zwei Hauptproduktionen und Uraufführungen mit je etwa fünf Monaten Laufzeit. Das Chamäleon dabei meist als Koproduzent auf.

Erste Spielzeit: Mitte Februar bis Mitte Juli
• Zweite Spielzeit: Mitte August bis Mitte Januar
• Fünf bis sechs Wochen Gastspielreihe PLAY im Januar und Februar mit vier bis sechs Stücken von verschiedenen Kompanien mit spezifischen inhaltlichen Schwerpunksetzungen, u.a. deutscher zeitgenössischer Zirkus, queere Positionen, feministische Arbeiten, politischer Zirkus.
• Jährlich ein hauseigenes Residenzprojekt mit einmaliger Abschlusspräsentation
• Eine Aufführung des Circus Sonnenstich
• Eine Aufführung der Projektarbeit der Staatlichen Artistenschule
• Zwei Theaterscoutings pro Spielzeit: Einführungen in die Stücke und moderierte Publikumsgespräche mit den Künstler:innen.
• Zwei Mal pro Spielzeit: Vorstellung mit Dolmetschen in Deutsche Gebärdensprache und ggf. Musikperformance durch taube Performer:in • Zwei Preview-Talks: thematische Einführungen durch die Regisseur:innen und Intendantin in
der Preview-Phase mit anschließenden Feedback-Gesprächen.
• Pro Spielzeit eine Podiumsdiskussion zu Themen und Fragen rund um das jeweils aktuelle Stück.

Quelle:

Chamaleon Berlin
in den Hackeschen Höfen Rosenthaler Straße 40/41
10178 Berlin
www.chamaeleonberlin.com/de