„Das Kulturelle Gedächtnis“ – ein echter   Verlagsname

 Der Buchtitel „Briefe aus der DDR 1989-1990″ macht neugierig

Hier rezensiert ein 91-jähriger Journalist (geb. :13.01.1932) und promovierter Psychologe, der bereits seit 1953 (!) als Zeitungs- und später auch als Radiomann seinen Beruf nachgeht, an alle, die die sogenannte Wende entweder selbst erlebt und danach darüber gelesen haben. Herausgegeben hat den Band die 1944 in Frankfurt (Oder) geborene Ingrun Spazier. Nach ihrem Studium arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berliner Humboldt-Uni und im Staatlichen Filmarchiv der DDR.

Die neun Autoren der o. g. Briefe entstammen mehreren Generationen und haben eines gemeinsam. Sie sahen die politische Entwicklung in der DDR stets kritisch, begleiteten zugleich aber den viel zu hektischen Vereinigungsprozess mit gebührender Skepsis. Damit stehen sie in einer Reihe mit jener Bevölkerungsschicht im Osten, die in jener Zeit kaum wahrgenommen wurde. Ein verständliches Unbehagen auch deshalb, weil sie auf die damalige rasende Zeit kaum Einfluss nehmen konnten. Das einte übrigens alle neun Briefschreiber.

Ingrun Spazier führt damit das Buch von Ilko-Sascha Kowalczuk „Die Übernahme“ (Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde) gedanklich weiter, ohne diese Publikation unbedingt kennen zu müssen. Alle Briefe sind eingebettet in eine kurze historische Etappe und unikate Produkte mit einem sehr persönlichen Charakter.

Gerade die Zeitperiode 1989/90 war andererseits gekennzeichnet durch eine Hochkonjunktur sogenannter Anbiederungsliteratur. Ingrun Spaziers Briefband setzte sich wohltuend davon ab. Sie wählte eine außerordentlich gelungene handschriftliche Rückblende auf Stärken und Schwächen der DDR, für die ihr herzlich zu danken ist.                                 

Dr. Dieter Langer