Europastadt Görlitz-Görliwood
Ihren Charme verdankt die Stadt an der Neiße der Unversehrtheit im 2. Weltkrieg. Ganze 30 Bomben konnten der östlichsten Stadt Deutschlands wenig anhaben. So glänzt auch heute die gut erhaltene Altstadt. Die gepflegten Gebäude stammen aus verschiedenen Epochen und weisen eine Vielfalt an Architekturstilen auf. Das Wahrzeichen im Zentrum: Die spätgotische Peterskirche mit ihren zwei Türmen und der Sonnenorgel aus dem frühen 18. Jahrhundert. Ein Touristenmagnet auch das Schlesische Museum mit Ausstellungen zur deutschen, polnischen und tschechischen Kunst und Geschichte.

Wir starten unsere Stadtexpedition mit einer 90 Minuten Rundfahrt im offenen Bus am Obermarkt. Erleben können wir aber nur einen Teil der über 4000 großteils restaurierten Kultur- und Baudenkmale. Das flächengrößte zusammenhängende Denkmalgebiet Deutschlands. Diesem verdankt Görlitz/Görliwood seinen Status als beliebte und häufig genutzte Filmkulisse. Vorbei geht es am Rathaus von 1350 und dem Schlesischen Museum. Durch zwei beeindruckende Villenviertel geht es zu einem Kurzstop zur Landskron-Brauerei. Die 1869 gegründete Manufaktur hat heute 13 Biersorten für Geniesser im Angebot. Mein Nachbar erklärt mir die Sache mit der Europastadt.


Es gibt zwar gemeinsame Projekte zwischen Görlitz und Zgorzelec – aber im Prinzip macht jeder Seins. Die Deutschen fahren zum Tanken ans andere Neißeufer und die Polen finden gut bezahlte Arbeit bei uns. Deshalb steht am Ortsschild eindeutiger der Beiname Hochschulstadt. Die Stadtführerin verweist aktuell noch auf den anonymen Gönner der Stadt. Von 1995 bis 2016 hat er jährlich eine Million DM bzw. eine halbe Million Euro gespendet. Dann gibt es in der Bismarckstrasse 3 eine besondere Erlebniszone: die schönste Fleischerei in Sachsen. Meisterfamilie Büchner serviert stets frische Ware seit 1912. Eine besondere Geschichte dreht sich um die Turmuhr der Dreifaltigkeitskirche auf dem Obermarkt.


Sie schlägt stets sieben Minuten zu früh. Dies geht zurück auf den Tuchmacher-Aufstand von 1527, bei dem ein Verräter die Turmuhr zu früh schlagen ließ, damit die Verschwörer bei einem ihrer geheimen Treffen der Nachtwache in die Arme laufen. Auf der Ostseite der geteilten Stadt erinnert in der polnischen Tourinfo ein kleines Museum an ihren berühmtesten Sohn Jacob Böhme (1575–1624). Er arbeitete in Görlitz als einfacher Schuhmacher und entwickelte nebenbei seine Theorien zur „Einheit von Mensch und Natur“, die später weltweit Beachtung finden sollten.

Viele Denker nachfolgender Generationen, darunter Goethe und Leibniz, zählten Böhmes Werk zu ihren wichtigsten Einflüssen. Gastronomisch wird in fast jedem Lokal für die schlesische Küche geworben. „Himmelreich“ (Kasslerbraten) und Bigos sind die Renner.
Wir entscheiden uns für den Test der Gerichte auf der polnischen Seite. Passend dazu ein Ausflug in die Stadt Boleslawiec, früher Bunzlau, 40 km weit. Bekannt und berühmt für ihre buntblaue Keramik, die heute in zig Manufakturen hergestellt wird. An der schier endlosen Auswahl kommt der deutsche Tourist ohne Zugreifen nicht vorbei.


Die Stadt selbst sauber und gepflegt mit altdeutschen Gebäuden. Nach der Rückfahrt passieren wir am Ortseingang Görlitz am Neißeufer die Stadthalle von 1910. Gegenwärtig seit 2012 in Vollsanierung wurde sie einst für die Schlesichen Musikfeste errichtet.

Nach Fertigstellung soll der Denkmalbau mehr sein als ein unvergleichlicher Konzertsaal. Einweihungstermin unklar. Und schließlich: Neu für uns waren die überall präsenten „Grenzaugen“, die wir mit Blitzersäulen verwechselt hatten. Es sind Anlagen zur Gesichtserkennung.


Da fühlt man sich doch gleich viel sicherer im eigenen Land… Txt+Fotos: ©OK
