Gibt es eine eigenständige „Medizin der Gefühle“ ?

Heute weiß eigentlich jeder Mediziner und viele der Patienten, dass eine der Fachrichtungen der Medizin Psychosomatik heißt und folglich längst nachgewiesen ist, dass Gefühle mit körperlichen Reaktionen einhergehen. Wenn im Gehirn die Nervenzellen  der Amygdala, also des Angstzentrum, den Körper befeuern, dann ist das überall zu spüren. Nicht anders bei Freude. Wenn körpereigene Glückshormone wie Endorphine unser Gehirn überfluten, zieht bekanntlich ein überaus warmes Gefühl durch alle Glieder und belebt uns bis in die Fingerspitzen. Ein finnisches Forschungsteam hat untersucht, wo genau Menschen ihre Emotionen im Körper verorten. Furcht und Angst ballt sich vor allem in der Herzgegend zusammen, sitzt in Hals und Kehle und lähmt die Beine fast. Liebe und Geborgensein erfüllt vor allem Kopf, Brust und Körpermitte, während die Beine nahezu unbeeinflusst bleiben. Kurzum: Jedes Gefühl hat einen bestimmten Sinn.

Über Jahrhunderte dachten hingegen die Gelehrten, dass Seele und Körper getrennte Einheiten seien. Selbst der bedeutende Philosoph Rene`Descartes war ein leidenschaftlicher Verfechter der strengen Trennung von Körper und Psyche. Er hielt die Zirbeldrüse (ein zapfenförmiges Gebilde an der Rückseite des Mittelhirns) bestenfalls für ein Vermittlerorgan. Der Köper wurde als eine Art Maschine gedacht, die kaputtgehen kann, aber auch reparierbar sei. Professor Christian Schubert von der Uni-Klinik für Medizinische Psychologie in Innsbruck stellt fest: „Psyche und Körper bilden eine untrennbare Einheit, daran besteht überhaupt kein Zweifel.“ Schuberts Spezialgebiet ist die Psychoneuroimmuuologie, der nachgewiesen hat, dass bei Studierenden im Prüfungsstress Wunden beispielweise deutlich langsamer heilen. Andererseits wirken Freude oder das Gefühl von sozialem Eingebundensein als Immunitätsanker. Der Zusammenhang zwischen Psyche und Immunsystem ist so eng, dass der psychische Anteil an der Wiedergesundung eines Patienten nicht zu beziffern sei. Schubert wörtlich: „Es gibt gar keine echte Trennung.“

Die Spuren der Corona-Pandemie auf das immunologische Gleichgewicht eines Menschen kann sehr vielfältig sein. Monatelang mit der Angst am Virus zu erkranken, finanzielle Sorgen, Ärger über das Nichtvorhandensein von genügend Impfstoff, Wut über die Schwerfälligkeit der Behörden und nicht zuletzt die Gefühle der Einsamkeit. Wieder Schubert: „Alle haben auf das Virus geschaut, aber der Mensch ist dabei außer Acht geraten.“ Professorin Eva Peters vom Klinikum der Justus-Liebig-Uni Gießen konstatierte, viele ihrer Patienten tragen die emotionalen Spuren der Pandemie auf der Haut als juckende Pusteln oder raue Flechten. „Das heißt allerdings nicht, dass die Erkrankung allein psychisch bedingt ist“, sagt die Psychodermatologin und fügt hinzu, dass der Schutzwall der äußersten Hautschicht instabil geworden sei. Dass die Haut besonders sensibel reagiert, sei vermutlich „ein Erbe aus Urzeiten“.       

Somit schließt sich der Kreis, der in der Überschrift gestellten Frage, ob es denn eine „Medizin der Gefühle“ geben könne. Durchaus, sage ich als Psychologe. Inzwischen ist nachgewiesen, wie Psyche und Körper miteinander kommunizieren. Sie benutzen beide dieselbe biochemische Sprache. Medizin war, ist und bleibt eine ganzheitliche Wissenschaft und muss folglich auch so behandelt werden.                                             Dr. Dieter Langer