Lieferengpässse bei Medikamenten

Weil bestimmte geriatrische Medikamente in den niedrigsten Dosiseinheiten nicht lieferbar sind, verdünnen Altenpflegekräfte sie für ihre Patienten mit Pipette und Wasser selbst, so ein Neurologe. Ein Onkologe der Berliner Charité berichtet von einem Mittel zur Chemotherapie, das weltweit nicht mehr verfügbar sei. Die Therapie betroffener Patienten müsse unterbrochen und auf ein anderes Präparat umgestellt werden.

Nicht immer sind die Konsequenzen von Lieferengpässen so dramatisch. Oft können verordnete Arzneimittel durch andere Packungsgrößen oder wirkstoffgleiche Präparate ersetzt werden. Aber das Problem nimmt in gravierendem Maße zu: Für knapp 300 Medikamente haben die Behörden derzeit Meldungen zu Lieferengpässen erhalten – im Sommer 2016 waren es noch nur rund 30 gewesen. Während im Jahr 2017 in 4,7 Millionen Fällen vom Arzt verordnete Arzneimittel nicht geliefert werden konnten, lag der Wert 2018 schon bei 9,3 Millionen Packungen. Eine neue Höchstmarke steht bevor: Im ersten Halbjahr 2019 waren bereits 7,2 Millionen Arzneimittelpackungen nicht lieferbar.

Vielfach werden die Rabattverträge der Krankenkassen als Ursache genannt. Denn sie werden oft mit nur einem Hersteller abgeschlossen, wodurch dessen Wettbewerber faktisch aus dem Markt gedrängt werden. Der AOK Bundesverband bezeichnet diese Argumentation als „gezielte Desinformationskampagne“ von Pharmaindustrie und Apothekern. Denn Lieferengpässe gebe es meist in internationalem Maßstab, obwohl im Weltmarkt deutsche Rabattverträge keine Rolle spielten.

Tatsächlich leiden andere Länder bisweilen noch stärker unter Lieferengpässen. In Kanada sind beispielsweise derzeit knapp 2.000 Medikamente betroffen. Eine Wirtschaftszeitung untersuchte die Gründe und kam auf ein Bündel von Ursachen. Die „Ursache all dieser Ursachen“, so das Blatt, sei aber der dramatische Preisverfall für Generika, der auch in Kanada insbesondere durch Kostendämpfungsmaßnahmen zustande kam. So erlebte zum Beispiel das Brustkrebsmedikament Tamoxifen zwischen 1985 und heute einen Preisrückgang um 94 Prozent von 2,88 auf 0,17 US-Dollar. Resultat war schließlich ein Lieferengpass.

Während in der Gesundheitspolitik noch über Lieferengpässe bei Medikamenten gestritten wird, zeichnen sich bei Medizinprodukten bereits weitere ab: Im Mai 2020 tritt die europäische Medizinprodukte-Verordnung in Kraft, die eine Zertifizierung für Medizinprodukte einführt. Doch zum einen gibt es derzeit noch nicht ausreichend viele Zertifizierungsstellen, zum anderen können viele kleine Hersteller die administrativen Anforderungen nicht erfüllen. Der Bundesverband Medizintechnologie warnt bereits davor, dass etliche bewährte Produkte bald nicht mehr verfügbar sein könnten: Nach Schätzungen würden 10 Prozent der Unternehmen und 30 Prozent der Produkte vom Markt verschwinden.

Ein Beitrag von Edelgard Richter / Dela Press