Machtwechsel bei den Nacktmullen

Kleopatra konnte sie an Schönheit nicht übertreffen. Mit Königin Elisabeth II. konnte sie sich weder in der Länge ihrer Amtszeit noch in der Anzahl ihrer Untertanen messen. Auch hinsichtlich der öffentlichen Aufmerksamkeit wird sie keinen ihrer Amtskolleginnen je das Wasser reichen können. Dennoch kommt ihr Sturz in seiner Dramatik dem Maria Stuarts und Marie-Antoinettes gleich und mit der Anzahl ihrer Nachkommen ist sie selbst der Großmutter Europas „Königin Victoria“ haushoch überlegen: 450 „Söhne“ und „Töchter“ hat die am Jahresende 2019 abgesetzte Nacktmullkönigin während ihrer 6-jährigen Amtszeit zur Welt gebracht – so viel wie wohl kaum ein anderes Säugetier auf der Welt.

2013 kam sie mit nur 11 Jungtieren aus der Dresdener Dynastie nach Berlin und vergrößerte ihre Familie hier so erfolgreich, dass royale Nachkommen von ihr bereits in Russland, Frankreich, Estland und der Türkei leben. Bis zu 28 Jungtiere kann eine Nacktmullkönigin auf einmal gebären. Kurz vor der Geburt hat die Königin ihr Gewicht nahezu verdoppelt. Um mit so viel Nachwuchs im Bauch in den unterirdischen Gängen Ostafrikas weiterhin mobil zu bleiben, wächst sie zu Beginn ihrer Amtszeit in die Länge. Bei 450 potentiellen Thronfolgern und Thronfolgerinnen wird die Erbfolge zu einem harten Kampf. Wie in nur noch wenigen menschlichen Kulturen, leben die Nacktmulle in einem Matriarchat. Das bedeutet: Grundsätzlich hat immer Frau das sagen. Männliche Tiere scheiden von Anfang an aus, sodass der Kampf um die Macht – ganz traditionell dem Hofzeremoniell der Nacktmulle folgend – nur zwischen den Weibchen ausgetragen wird. Unter ihnen gibt es bereits eine Reihe von ambitionierten Anwärterinnen auf den Thron, die es bereits in erbitterten Kämpfen geschafft haben, ihre bisherige Königin zu stürzen.

„Weibliche Nacktmulle dürfen sich nicht fortpflanzen und die Königin wählt nur einige wenige Männchen zur Paarung aus“, erklärte der stellvertretende Zoologische Leiter Dr. Florian Sicks. „Nachwuchs bringt die Königin etwa 80 Tage zur Welt. Erst wenn die Königin abdankt oder gestürzt wird, hat ein anderes Weibchen die Chance, sich fortzupflanzen. Welches Weibchen die neue Königin wird, entscheidet sich endgültig, sobald sie den ersten Nachwuchs zur Welt gebracht hat.“ Das Rennen um die Thronfolge im Berliner Königshaus ist also noch nicht beendet.

Besucher, die sich in den nächsten Tagen dem Hofstaat der Nacktmulle im Giraffenhaus nähern, können mit gespitzten Ohren vielleicht schon bald den Jubel vernehmen: „Lang lebe die Königin.“

Nacktmulle zählen zu den wohl am meisten unterschätzten Tierarten des Tierpark Berlin. Doch die Faszination Nackmull zieht langsam aber stetig Kreise – und das zurecht: Die kleinen Nager aus den Halbwüsten Ostafrikas haben ein vermindertes Schmerzempfinden und können nicht an Krebs erkranken. Nacktmulle bilden Staaten, die denen von Bienen oder Ameisen ähneln. Sie leben in einer Form des Sozialverhalten, die als Eusozialität bezeichnet wird und mit einer Arbeitsteilung einhergeht. Ein Beitrag von Edelgard Richter / Dela Press