Mit dem Sonderzug durch Ostpreußen Teil II

Im 1. Teil wurde über die Fahrt im 400 m langen Nostalgiezug „Classic Courier“ Richtung Posen-Thorn-Allenstein und Masuren berichtet. Jetzt geht die Reise weiter zur russischen Grenze in Richtung Königsberg.        

Gegen alle Logik erleben wir die angekündigte Schienenkreuzfahrt nur noch auf Strassen im Bus. Der Sonderzug ist in Russland nicht willkommen. Ab Allenstein sind wir zeitig losgefahren (Bus aus Litauen, Fahrer Russe) und stecken jetzt im Abfertigungsstau am Kontrollpunkt Bagrataniowsk. Der Rückstau von Pkw, Lkw und Bussen auf der DK 22 beginnt bereits bei unserer Annäherung an die polnischen Kontrolleure. Reiseleiterin Aldona Monieta hatte als Limit maximal 2 Stunden angedeutet. Nach Gepäck-, Pass- und Gesichtsmusterung schleicht der Bus nach geschlagenen 150 Minuten durch den letzten Schlagbaum auf russischer Seite.

Kaum hörbares Aufatmen von allen kopfschüttelnden Senioren. Dann geht es weiter auf der alten Reichsstrasse Nummer 1 (früher ab Aachen durchgängig) nach Königsberg. Die moderne Fernstrasse hat hier die Nummer A194. Kurz hinter dem Tor zur Enklave Oblast Kaliningrad ist die sympathische Reiseleiterin Larissa zugestiegen. Sie begrüßt uns mit ostpreußischen Versen und Anekdoten im Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen: „Ostpreußen hat unsere Seele geprägt, uns Beständigkeit in die Wiege gelegt. Wir wanderten auf vertrauter Spur, das Tun bestimmte die Jahresuhr“. Wussten wir damals, wie reich wir waren?

Alte deutschstämmige Ostpreußen beklagen ihre versunkene Kindheit: „Viele Dörfer sind verschwunden, Schul´ und Kirche gibt’s nicht mehr – wo einst Roggenfelder wogten, liegen Äcker distelschwer.“

Königsberg – die Hauptstadt des Bernsteinlandes liegt an beiden Ufern des Pregels. Heute ein Wohnort für fast eine halbe Million Kaliningrader. Eine europäische Stadt mit einer stürmischen Geschichte. Im Frühjahr 1255 entstand die Burg Königsberg auf den Ruinen der preußischen Festung Twangste. 1724 erhielt diesen Namen die Hauptstadt des Königreichs Preußen. Das von britischen Bomben zerstörte Königsberg fiel im April 1945 nach dem Angriff der Roten Armee. Der nördliche Teil des ehemaligen Ostpreußens wurde zum Königsberger Gebiet der Russischen Föderation. Am 4. Juni 1946 wurde Königsberg in Kaliningrad umbenannt. Von diesem Zeitpunkt an begann das russische Kapitel der Geschichte dieser Stadt. An die deutsche Vergangenheit erinnern der wieder errichtete Dom, das Grabmal von Immanuel Kant, alte Stadttore und der Bunker des letzten Kampfkommandanten General Otto von Lasch. Das unterirdische Bunker-Museum auf dem alten Paradeplatz präsentiert den Führungspunkt der Festung Königsberg bis zum 9. April 1945, dem Tag der Kapitulation. In den 21 kleinen Räumen erklären grafische Dioramen das Kriegsgeschehen an der Ostfront. Selbst das Arbeitszimmer des Kommandeurs wurde nachgestaltet.

Mit dem Namen Königsberg verbinden sich historisch viele bekannte und vedienstvolle deutsche Persönlichkeiten. Dazu gehören neben Kant, dem berühmtesten Sohn der Stadt z.B. die Nobelpreisträger Lipmann und Wallach, Gräfin Dönhoff, Käthe Kollwitz, E.T.A: Hoffmann, der Komponist Heymann oder Herta Heuwer, die Erfinderin der Currywurst. Inzwischen zählen nach 75 russischen Jahren auch bekannte Kaliningrader aus der Sowjetzeit zur Königsberger Historie, darunter die Kosmonauten Alexei Leonow, Juri Romanenko und Alexander Wiktorenko. Schließlich der Musiker Arkadi Feldmann und der Architekt Arthur Sarnitz, erfolgreiche Sportler und Schauspieler sowie Ljudmila Putina, die Exfrau von Putin. Kaliningrad von heute – das sind entzückende von der Natur geschaffene Ecken zur Erholung, goldene Ostseestrände, die Dünen der Kurischen Nehrung, das Land des weltweit größten Vorkommens an erstklassigem Bernstein – Succinit. Für den Touristen auch interessant die Christ-Erlöser-Kathedrale. Ein aktueller Geheimtip ist das Restaurant Tante Fischer (тетя Фишер), gleich neben dem Hotel Kaliningrad. Dort werden die uroriginalen Königsberger Klopse serviert. Das bekannte einzigartige Marzipan kauft man in der Mall, die sich hier Plaza nennt und ein Besuch lohnt sich beim Königsbäcker, überall in der City.           

Unseren Schlussakkord erleben wir in Rauschen/Swetlogorsk, dem angeblich „schönsten und belebtesten Badeort der Region, der den Charme des alten Rauschens erhalten hat“. Bezeichnet auch als das „Sotschi des Nordens“. Für den gefragten Villenort an der Ostsee mag das zutreffend sein – aber der Strandbereich ist weniger einladend. Daran ist nicht nur die letzte Sturmflut schuld, die große Teile zerstört hat, sondern die freie Zufahrt für alle Pkw zur Strandpromenade; katastrophal. Angenehm für leistungsschwache Urlauber aber ist die zuverlässige Seilbahn am Steilufer. Das kollektive Abschiedsessen im Restaurant Universal selbstverständlich Königsberger Klopse. Statt Rauschen empfiehlt sich zum Besuch am Meer besser das ehemalige Cranz, heute Selenogradsk.

Vor dem 2. Weltkrieg das mondänste Seebad Ostpreußens, liegt es am Zugang zur Kurischen Nehrung.  Es folgt eine kurze Nacht nur für unsere Reisegruppe und nach dem typisch russischen Frühstück mit Kascha und Bliny startet der Bus zur Stadtrundfahrt mit Dombesichtigung. Über Mittag kann Königsberg noch nach Eigeninteresse besichtigt werden. Ich entscheide mich für die Christ-Erlöser-Kathedrale, das erste größere russisch-orthodoxe Kirchengebäude, erbaut 2009. Nachdem alle wieder pünktlich am Denkmal „Mutter Heimat“ eingetroffen sind, beginnt die Rückreise zur Grenze – diesmal am Übergang Mamorowo. Obwohl mit gemischten Gefühlen im Bus, gestaltet sich der Grenzübertritt ins EU-Land Polen normalno, d.h. nach knapp 60 Minuten fahren wir problemlos Richtung Danzig/Gdansk.

Dort wartet für die Schlussetappen dann wieder der CC. Übernachtet wird im neuen Novotel in der Pszennastr. 1. Eine Empfehlung wert. Nach dem polnischen Frühstück im Hotel unternehmen wir einen geführten Stadtrundgang durch die schöne Danziger Altstadt: Hafenpromenade an der Motlawa mit dem Krantor, Rechtstadt mit Hohem und Goldenem Tor, Langer Markt, Neptunbrunnen, Rathaus und Marienkirche. Diese wiedererstandene Stadt ist als gesondertes Reiseziel zu empfehlen. Gegen Mittag steigen wir nach Entzugserscheinungen endlich wieder in unseren Sonderzug. In den 3 Speisewagen hat die Restaurantcrew bereits zum Dinner eingedeckt.

Fahrt frei zum letzten Programmpunkt nach Stettin/Szczecin an der Oder. Nach Ankunft am späten Nachmittag steht noch eine Stadtrundfahrt auf dem Programm: Rotes Rathaus, Hakenterrasse, Greifenschloß, Westend mit originalen Villen aus der Vorkriegszeit, die neue Altstadt und die Stadttore. Das Fazit bis hierher: Polen hat dank der EU-Förderung einen gewaltigen Wohlstandssprung gemacht; in der Infrastruktur, in der Wirtschaftsentwicklung, im Leben des Volkes. Selbst die Bevölkerung wächst durch staatliche Anreizprogramme.  Die Schienenkreuzfahrt zu den „Impressionen Ostpreußens“ hat uns Historie und Dimension des alten größeren Deutschlands näher gebracht. Auch wenn wir öfter auf Strassen und Autobahnen gewechselt sind: Wir erlebten ein Land mit einmaligen Landschaften, das sich auf einem guten Weg in die Zukunft befindet. Und die Reise nach Königsberg wird mit Einführung des Online-Visums künftig auch einfacher werden. Seit Juli 2019 können deutsche Staatsangehörige mit einem kostenfreien e-Visum einreisen. Es berechtigt für Aufenthalte von bis zu acht Tagen bei einmaliger Einreise (www.kaliningrad.de). gk

Kontakt: Tamara Torog, Agentur Nocturne; 236040, Kaliningrad 2g Universitetskaya St.  

Tel.: 007-4012 538 071 Email: office@nocturne.ru   Web: http://www.nocturne.ru/de/

Sonderzug „Classic Courier“
Grenzkontrollpunkt
Reiseleiterin Larissa
Dom
Kant-Denkmal
Bunker Museum
Seilbahn Rauschen
Kathedrale
Hafen Danzig mit Krantor
Schloß der Pommernherzöge

Fotos: (©gk)