Willkommen im Großstadt-Jungle…

Ich schließe die Tür hinter mir. Oje, ist das kalt. Ich zittere kurz und mein ganzer Körper überzieht sich mit einer Gänsehaut.
Na prima. Die Jacke ist wohl doch ein bisschen dünn. Ich wickle den Schal noch ein weiteres mal mehr um den Hals um wenigstens etwas mehr Wärme zu bekommen. Die Mütze hab ich zu Hause gelassen. Klar, die Frisur soll ja nicht leiden. Wofür steht Frau denn Morgens ewig im Bad und erschafft jeden Tag aufs Neue ein Kunstwerk?
Okay, ich werde erfrieren, aber die Frisur sitzt und das auch ohne einen Markenartikel der Haarkosmetik. Und die Kälte hat den angenehmen Nebeneffekt rote „Apfelbäckchen“ zu erzeugen. Das wirkt niedlich und erhöht die Chancen als sympathisch empfunden zu werden. Und Sympathie kommt bekanntlich weiter.
Und ich will weiter kommen. Blöd nur, dass ich gestern dank meines schrottreifen Smart-Phones nicht genau verstanden habe, wo ich hin muss. Wieso können die Dinger alles, außer problemlose Telefonate sicher zu stellen? Wenn dann noch der Anrufer am anderen Ende nuschelt ist man echt aufgeschmissen.
In der Straße hab ich in mehreren Restaurants nachgefragt, ob jemand eine Kellnerin sucht. Also versuche ich es auf gut Glück. Es bleibt mir ja nichts anderes übrig. Ich blicke in den Himmel. Bitte lass mich einmal Glück haben. Die ersten Schritte auf den vereisten Fußwegen sorgen für eine ordentliche Rutschpartie zum frühen Morgen. Schön, dann bin ich wenigstens wach, wenn auch durch einen Schreck. Ich gehe vorsichtiger und suche mir die Stellen auf den Wegen auf denen noch eine kleine Schneedecke liegt. Sieht sicher wie ein Spieß-Ruten-Lauf aus. Aber wenigstens komme ich relativ schnell voran ohne mir irgendwas zu brechen. Und seien wir doch ehrlich: Im Winter bei Glätte macht selten einer eine gute Figur.Juchu, ich bin einmal nicht die einzige Doofe. Da vorn ist gerade einer unsanft auf seinem Hinterteil gelandet. Schadenfreude ist die Schönste Freude und der eigene Hintern tut dann auch gleich viel weniger weh.
So, da ist ja schon der S-Bahnhof. Schnell ein Ticket gekauft und ab auf den Bahnsteig. Eine feste Stelle gefunden (anscheinend im Weg vieler Leute die mich mit knurrigem Gesicht umschiffen). Oje, das ist aber auch kalt! Meine Güte, warum muss ich grad heute bei Minusgraden in Berlin unterwegs sein? Na ja, schnell die Gedanken wieder in die richtige Richtung drängen: Du machst das um endlich mal was zu erreichen. In kleinen Schritten zwar, aber ein Anfang ist es.
Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät, dass ich es noch ungefähr zehn Minuten in der Kälte aushalten muss, ehe die Bahn kommt. Na wenigstens kommt sie überhaupt.
Offensichtlich Kaffee-Süchtige stürzen an mir vorbei. Eine genervt aussehende Lehrerin schwenkt straff ihre Arbeitstasche von vorn nach hinten und wieder zurück. Die armen Schüler haben heute wahrscheinlich keine große Freude am Unterricht mit ihr. Ein großer, schwerer Mann läuft gemütlich an mir vorbei. Es herrscht eine gewisse Ruhe. Nur der Straßenlärm ist zu hören. Ein leises Murmeln von den wenigen Menschen die nicht verschlafen, gedankenversunken oder völlig leer in die Gegend starren rundet die Geräuschkulisse ab. Plötzlich schlägt ein Geräusch wie ein Blitz in diese „Stille“ ein. Ein schreiendes Kind. Genervte Gesichter drehen sich in die Richtung aus der das wütende Gebrüll zu vernehmen ist. Die Eltern stellen sich mit ihrem schreienden Kind mitten in die Menge. Das Kind schreit weiter. So genannte Erziehungsberechtigte scheinen für die Wut ihres Kindes taub zu sein. Das macht die umherstehenden Leute noch genervter.
Da kommt die Bahn. Oh, die ist aber sehr voll. Fahrgäste steigen aus. Zu wenige. Die Menschen vor mir drücken sich in die Bahn rein. Mmh, lecker. Erinnert mich irgendwie an Sardinen in der Büchse. Keiner hat mehr genug Platz um sagen zu können, dass er noch seinen persönlichen Freiraum besitzt.
Die „Öl-Sardinen-Büchse“ setzt sich in Bewegung. Im Ohr dudelt Peter Fox, der mir erzählt wie dreckig Berlin ist. Ich höre ein Husten in der näheren Umgebung. Das heulende Kind ist immer noch zu hören obwohl es einige Türen weiter vorn mit seinen Eltern in der Bahn platz gefunden hat. Ein Niesen ist zu hören. In noch näherer Umgebung. Ich beginne flach zu atmen. Bloß nicht zu viele ungeliebte Keime einatmen. Dann lieber ersticken. Wieder ein Husten. Ein Schauer fährt mir den Rücken hinunter. Es dauert kurz ehe ich begreife warum. Dieses mal ging das Ganze in meine Richtung. Ich ziehe meine Schultern hoch und den Kopf ein. Ist ja ekelhaft. Kann man denn nicht Richtung Boden husten und sich wenigstens die Hand vor den Mund halten als anderen in den Nacken zu röcheln?
Nächster Halt. Drei steigen aus, fünf steigen ein. Es wird Platz gefunden wo eigentlich keiner existiert. Das läuft noch weitere drei Haltestellen so und ich versuche nicht aggressiv auf die Ellenbogen in meinen Rippen und die Hand an meinem Hintern zu reagieren. Tief ein und – nein, halt! Gar nicht atmen.
Fünfte Haltestelle. Ui. Steht ja kaum jemand am Bahnsteig. Und es steigen eine ganze Menge Leute aus. Platz. Raum. Endlich wieder einatmen. Ich lausche. Merkwürdige Ruhe ist eingekehrt. Erleichterung. Hoffen wir es bleibt erst mal so…
Text: Cordelia Ecirtaeb