Zeitreise durch die Natur
Der zweigeteilte Wald – Märchenwald und Realitätswald
Je mehr der gute deutsche Wald schwindet, desto stärker ist die Sehnsucht nach ihm. Im Märchen zum Beispiel der Gebrüder Grimm wird der Wald zum Ort der Prüfung – lernen vom Wald. Bei ihnen vermischt sich die Unterscheidung zwischen Märchen- und Realitätswald oft. Vielleicht wollen die Menschen es so.
Märchen sind aber die eine Sache, die Realität ist eben eine andere. Der Weg „über die sieben Berge zu den sieben Zwergen“, wie man ihn aus Grimms Märchen Schneewittchen kennt, führt zwar auch durch Mischwald, Fichten, Eichen und Buchen. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene genießen Fantasie.
Im Spessart, einem deutschen Mittelgebirge ,das sich über die Grenzen von Bayern und Hessen erstreckt, können sich die Besucher wie im Märchen fühlen. Immerhin soll ja Schneewittchen angeblich aus dieser Region kommen. Die Zauberwelt im Naturpark Spessart umhüllt jahrhundertalte Baumriesen im Nebel, lassen Mooskissen leuchten, Spechte hämmern und Bäche rauschen. Eben Märchenstimmung auf dem Schneewittchenweg, der gar kein Ende findet. Und die Kinder wissen sogar, wo die Stiefmutter das Gift für den Apfel besorgte. Eine wunderbare Zeitreise durch die Natur, die der menschlichen Seele gut tut.
Der Kellerwald im Hessischen ist einer der letzten großen Rotbuchenwälder Europas und seit 2011 UNESCO-Waldnaturerbe.. Es herrscht dort Ruhe im Forst, weil dieses Gebiet schon immer schwer zu bewirtschaften war. Heute leben im Kellerwald Luchse, Wildkatzen und Waschbären. 68 Kilometer lang ist der Urwaldsteig. Der Knorreichenstieg (17 km) ist einer der beeindruckendsten Wegabschnitte, weil es dort Eichen gibt, die schon stolze 800 Jahre auf dem Buckel haben. Und dann gibt dann eben auch die Realität des Waldes, die uns erzählt, wie dereinst zu 70 Prozent in Deutschland vorherrschende Buchen-Tannen-Mischwald dem Profitstreben schon weit vor der Globalisierung dem Profitstreben zum Opfer viel.
Zuerst dem „Holzhunger“ der Glasbläsereien zum Anfeuern ihrer Brennöfen. Danach im sogenannten Goldenen Zeitalter kamen die „Minheers“, die holländischen Kaufleute, und boten viel Geld für die besonders starken Weißtannen-Stämme, die zum Grachtenbau benötigt wurden. Kurzum: Die Verlockung des Geldes spaltete schon bald die Gesellschaft. Alles fiel der Geldgier anheim, wovon eines der bekanntesten deutschen Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff bekanntlich sehr überzeugend erzählt. Zusammenfassend: Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts war ein Großteil der ursprünglichen Buchen-Tannen-Mischwälder ruiniert und durch Fichten-Monokulturen ersetzt (Fichten wuchsen schneller und versprachen schnelleren Gewinn). Aber die Flachwurzler waren für die trockenen deutschen Böden völlig ungeeignet. Heute ist es der Klimawechsel, der unseren Wäldern zusätzlich zu schaffen macht.
Der Wald ist mit seinem Holz zu Ware geworden. Musste es ganz einfach
werden. Allein in Land Brandenburg wurde 2020 3,6 Millionen Kubikmeter
Holz, das sind 15 Prozent weniger eingeschlagen. Laut Landesamt für Statistik
betrug der Schadholzanteil 36 Prozent. Auf sogenannten Submissionen wird
deshalb Brandenburger Holz auch nicht verhökert, sondern vielmehr versteigert
– und zwar zum Höchstpreis. Zuletzt ein Kubikmeter Holz für 1.540 Euro. Der
Wald hat also viele Facetten. Seine gerade jetzt besonders notwendige
Gesundheitsfunktion muss schließlich auch bezahlt werden. Von wem ? Vom
Wald selber durch den Verkauf seines Holzes. Aber wir tauchen zugleich tief in
den Schneewittchen-Wald im nordhessischen Nationalpark Kellerwald-Edersee
ein, weil wir die Zweigeteiltheit des Waldes lieben. Damit die Seele auf ihre
Kosten kommt. Dr. Dieter Langer