Buchtipp

Empowerment Ost      

 Wie wir zusammen wachsen   Vor dreißig Jahren stand Deutschland kurz vor der Wiedervereinigung. Bis März tagte der sogenannte „Zentrale Runde Tisch“. Dann fand die letzte Volkskammerwahl der DDR statt. Nach der Öffnung der Grenze, gab es eine kurze Zeitspanne, in der Utopien möglich waren.

Thomas Oberender erzählt im Sachbuch „Empowerment Ost. Wie wir zusammen wachsen“ eine ungewöhnlich Geschichte der Wiedervereinigung, die viel Gesprächsstoff bietet. Er stellt die Demokratieerfahrung dieser wenigen Monate ins Zentrum, als unter anderem eine neue Verfassung erarbeitet wurde, die das Grundgesetz ablösen sollte. Oberender sieht die ostdeutsche Revolution als einen Vorläufer des politischen Aktivismus von heute.

Ebenso wie Occupy oder Fridays for Future wurde nicht auf einen ideologischen Elitenaustausch gesetzt, sondern ein Miteinander verschiedener gesellschaftlicher Gruppen versucht, basisdemokratisch und parteifern. Im dreißigsten Jahr der Maueröffnung ist die Erfahrung der Wiedervereinigung in Ost und West noch immer eine völlig andere. Empowerment Ost beschreibt die Revolution von 1989/90 als eine radikale Demokratieerfahrung – der Ostdeutschen.

 Ein Vorbote des Aktivitäten von heute, vom Arabischen Frühling über Occupy Wallstreet bis zu Fridays for Future. Sind die Ostdeutschen undankbar? Sehen ihre Städte heute nicht schöner aus als vor dreißig Jahren? Was ist aus den »Jammer-Ossis« geworden?

Und woher kommt noch immer die Rede von »ostdeutschen Demokratiedefiziten« oder einer »alternativlosen« Politik der Treuhand? Thomas Oberender legt die verblüffende Andersartigkeit der Wahrnehmung unserer jüngeren Geschichte in Ost und Westdeutschland offen. Er analysiert den sogenannten »Aufbau Ost« und beschreibt die Revolution der ostdeutschen Bürgerbewegung als eine radikale Demokratieerfahrung, frappierend visionär und realistisch zugleich. Empowerment Ost ist ein Kompass für eine Wiedervereinigung auf Augenhöhe und ein begeisternder Aufruf für die Möglichkeit einer anderen Zivilgesellschaft.

Der Buchautor Thomas Oberender, geboren 1966, studierte Theaterwissenschaft und Szenisches Schreiben in Berlin. Er ist freiberuflich tätig als Dramatiker, Kritiker, Essayist und Publizist. Seit 2012 Intendant der Berliner Festspiele und Künstlerischer Leiter der Programmreihe Immersion. Zuletzt erschienen: Leben auf Probe (2009) und Haupteingang oder Nebeneingang (2015). Schon in seinem Text von 2017 „Die Mauer ist nicht gefallen“ wies er auf die wohlmeinende und zugleich neokoloniale Praxis der Wiedervereinigung hin.  gk

Erschienen im Klett-Cotta-Verlag Stuttgart, 1. Aufl. 2020, 112 Seiten, Klappenbroschur, (Alternative: E-Book), ISBN: 978-3-608-50470-5; 12,00 EUR (D), 12,40 EUR (A)

Grafik: Bucheinband (©Verlag)