Die Folgen des Brexit

Weniger als zwei Monate vor dem Austrittstermin des Vereinigten Königreichs (UK) scheint die Lage zunehmend verfahren. Die Logistikunternehmen bereiten sich auf den ungeordneten Austritt des UK aus der Europäischen Union vor. Noch herrscht jedoch die Hoffnung vor, das das Szenario nicht eintritt und möglicherweise zunächst der Zeitplan revidiert wird. Bei allen Veranstaltungen der Bundesvereinigung Logistik (BVL) stand das Thema oben auf dem Programm.

Aus der Sicht der Logistik wäre der Austritt des UK aus der EU in seiner Wucht nicht zu unterschätzen. Oliver Zipse, Mitglied des Vorstands der BMW AG, erklärte während des Forums Automobillogistik von BVL und VDA in München: „Die Auswirkungen eines harten Brexits sind mit denen einer Naturkatastrophe vergleichbar“. Der bayerische Automobilhersteller hat seine Produktion international eng verzahnt und bereitet sich bereits seit Monaten auf den immer wahrscheinlicheren Fall eines ungeordneten Brexits vor.

Noch deutlicher wurde Professor Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des ifo-Instituts: „Der Brexit zerstört die europäische Nachkriegsordnung“. Damit gehen aus seiner Sicht nicht nur vorübergehende Unannehmlichkeiten einher. Vielmehr bedrohten die protektionistischen Bestrebungen den gesamten europäischen Wirtschaftsraum über Jahrzehnte. „Wir dürfen nicht vergessen, dass erst die Aufnahme der Briten in die EWG das Tor für den internationalen Handel geöffnet hat und es Deutschland damit ermöglichte, die Weltmärkte zu erobern“, betonte Sinn weiter. Mit dem zweitgrößten Bruttoinlandsprodukt in der EU sei der Austritt des Vereinigten Königreichs „gleichzusetzen mit dem Austritt von 19 kleineren EU-Staaten“. Sinn bezweifelte zudem, dass das derzeit diskutierte Rückfallabkommen eine Mehrheit im britischen Parlament finden werde. Die damit zusammenhängende Zollfrage an der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland erlaubt seiner Einschätzung nach „keine Lösung, die die staatliche Integrität erhält und zugleich ein erneutes Erstarken der IRA ausschließt“. Der Wirtschaftswissenschaftler hält es darum für wahrscheinlich, dass der Austrittstermin verschoben wird, um den EU-Austritt in einem zweiten Referendum zu verwerfen.

„Die Briten haben keine wirkliche Verhandlungsposition; sie verhandeln mit sich selbst und die Situation ist völlig verworren“, so Stefanie Eich, Brexit-Expertin der bundeseigenen Germany Trade & Invest, bei einer Veranstaltung der BVL zum Thema „Brexit und die logistischen Folgen“, die Ende Januar 2019 in Köln stattfand. Nach Einschätzung von Alan Braithwaite, Logistik-Professor an der Cranfield School of Management, hat die britische Regierung die Kontrolle verloren. „No Deal“ hat keine Mehrheit, aber darauf könnte es aus Versehen hinauslaufen“, so Braithwaite in Köln. Dieser Erkenntnis verschließe sich die EU derzeit noch.

Wird kein Ausweg gefunden, verlässt das Vereinigte Königreich die EU am 29. März 2019 ohne Übergangsphase und weitere Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis. Großbritannien und die EU und deren Mitgliedsländer stehen dann zueinander wie Drittstaaten, die keine offiziellen Handelsbeziehungen unterhalten und für deren Bürger es keine Personenfreizügigkeit gibt. Mit Blick auf den Handel greife dann zunächst einmal die Regelung der WTO und die dort festgelegten Zolltarife.

Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Belgien stellen sich für diesen Fall auf den Einsatz von Hunderten an zusätzlichen Zöllnern ein. In Großbritannien werden nach dortigen Schätzungen sogar 5.000 zusätzliche Kräfte benötigt. In vielen Unternehmen sind jedoch kaum Kenntnisse rund um das Thema Zoll vorhanden. Thomas Pütter, von der Nagel Group, einem europaweit tätigen Logistikunternehmen mit Spezialisierung auf Lebensmittellogistik, berichtete, dass man vor allem kleine und mittlere Unternehmen mit Informationen und Checklisten unterstützt; außerdem gibt es Notfallpläne.

Insbesondere bei den Branchen Lebensmittel und Automotive wird es bei einer „No Deal“-Situation mit langen Wartezeiten an den Grenzen wegen der Kühlkette und der eng getakten Lieferketten bei den Automobilen schwierig werden. Derzeit werden die Läger in Großbritannien aufgefüllt, um Problemphasen überbrücken zu können; Lagerflächen sind bereits knapp. Wie die weitere Entwicklung vonstatten geht bezüglich der Transportpreise, der Anerkennung von Führerscheinen oder der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für Mitarbeiter ohne britischen Pass, ist nicht einzuschätzen.

Ein Beitrag für Medieninfo Berlin von Edelgard Richter / Dela Press.